Dr. Holger Schwetter (Technische Universität Dresden), 25.1.2017, 18:00, Palais Meran, 1. Stock, Kleiner Saal

Chronotopische Musikanalyse der ländlichen Rockdiskothek: Qualitativ-rekonstruktive und analytische Zugänge zu Musik-Erleben und musikalischer Form


Nachdem die Musikanalyse im Rahmen der Forschung zu populärer Musik lange Zeit ein Schattendasein fristete, ist in den letzten Jahren eine verstärkte Debatte darum festzustellen. Ein Kritikpunkt an der Musikanalyse ist, dass sie die jeweils untersuchte Musik als absolutes Werk konstruiere, von seinen Rezeptionskontexten löse und dadurch nur bedingt aussagekräftig sei. Positiv formuliert, kann aber gerade die Berücksichtigung der Produktions- und Rezeptionsumstände das Erkennungspotenzial musikalischer Analysetätigkeiten erweitern.

Der Begriff des Chronotopos dient der Perspektivierung des Forschungsinteresses auf theoretischer Ebene und bezeichnet die Verschränkung von ästhetischem und sozialem Geschehen im konkreten musikalischen Ereignis. Am Beispiel des Repertoires der "progressiven" Rockdiskothek der 1970er Jahre in Norddeutschland wird ein derartiger methodischer Zugang in Form einer qualitativ-rekonstruktiven Musikanalyse vorgestellt.

Zur Untersuchung des dortigen Geschehens wird eine Kombination aus Musikanalysen, Quellenstudium, biografischen Interviews und Gruppendiskussionen gewählt. Es wird deutlich, wie das Musik-Erleben und Handeln in der Diskothek durch die musikalischen Formen strukturiert werden und wie andererseits die Anforderungen der Diskothek auf die Kompositionsprinzipien der dort gespielten Stücke zurück-wirken. Die musikalische Form und der Erlebnisraum Rockdiskothek stehen in einer wechselseitigen Beziehung und Sinngebung, die somit durch die chronotopische Musikanalyse sichtbar werden. 

Holger Schwetter studierte Musikwissenschaft sowie Medien- und Literaturwissenschaft an der Universität Osnabrück. Zurzeit ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt Time Has Come Today: Die Eigenzeiten popmusikalischer
Chronotope und ihr Beitrag zur temporalen Differenzierung von Lebenswelten seit den 1960er Jahren am Institut für Soziologie an der Technischen Universität Dresden. Seine Dissertation, eine empirische Studie über das Selbstmanagement von Musikern, das Urheberrecht und die Nutzung von Creative Commons Lizenzen, wurde 2015 bei Kassel University Press veröffentlicht.