Martin Niederauer (18.01.2018)

Geschlechterverhältnisse im Jazz

Betrachtet man die Geschichte des Jazz, stellt sich schnell der Eindruck ein, dass dieser eine männerdominierte Musik sei, die von ‚coolen Typen‘ gespielt wird und für ‚intime Kenner‘ reserviert ist. Nicht nur werden die Stilentwicklungen ausschließlich männlichen Instrumentalisten zugeschrieben, auch die meisten Jazzzeitschriften und Bücher über Jazz sind von Männern verfasst. Für Frauen war lange Zeit die Rolle der Sängerin oder Pianistin reserviert – ein Stereotyp, das seit einigen Jahren jedoch zunehmend aufgebrochen wird.
Geschlechterverhältnisse im Jazz können jedoch nicht nur mit der Stereotypisierung von Frauen oder mit einer Überzahl an Männern erklärt werden. Sie sind auch auf eine jazzspezifische Produktion von Männlichkeit zurückzuführen, die sowohl bei Rezipienten als auch Musikern anzutreffen ist und bei der die männlich-männlichen Beziehungen an Relevanz gewinnen. Um die Geschlechterverhältnisse des Jazz zu skizzieren, empfiehlt sich somit, einerseits die prozentuale Verteilung von Männern und Frauen unter die Lupe zu nehmen und andererseits nach den sozialen Verhältnissen und Praktiken zu fragen, durch die sich die bestehenden Geschlechterverhältnisse herausgebildet und manifestiert haben.
Der Vortrag ist in drei Teile untergliedert. Zuerst werde ich auf die aktuelle Verteilung von Männern und Frauen im Jazz eingehen und dabei die mediale Präsenz des Jazz berücksichtigen. In einem zweiten Schritt konzentriere ich mich auf die sozialen Verhältnisse und Praktiken des Jazz. Dabei lege ich einen Schwerpunkt auf die Frage, wie Männlichkeit verhandelt und als wirkmächtige Kategorie etabliert wird. Abschließend werde ich Projekte vorstellen, die sich kritisch mit den vorherrschenden Geschlechterverhältnissen im Jazz auseinandersetzen und werde auf das immer noch seltene Thema der Homosexualität eingehen.
Theoretisch beziehe ich mich u.a. auf Konzepte von Raewyn Connell, Michael Meuser und Judith Butler sowie auf jüngste Ansätze der kritischen Jazzforschung. In empirischer Hinsicht bilden Interviews mit jungen MusikerInnen, teilnehmende Beobachtung, Fanliteratur und „Männermagazine“ die Ausgangsbasis der Argumentation.  

Martin Niederauer studierte Soziologie in Trier und Frankfurt am Main und promovierte über „Die Widerständigkeiten des Jazz“. Von 2013 bis 2015 war er Mitarbeiter im Projekt „Tacit Knowing in Musical Composition Process“ am Institut für Musiksoziologie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Seit 2016 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät Gestaltung der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Er ist Gründungsmitglied der deutschsprachigen Arbeitsgruppe „Neue Jazzforschung“ und Mitglied im Scientific Committe des neugegründeten internationalen Peer-Reviewed-Journals „Jazzophilia“. Themenspezifische Publikationen: „Die Widerständigkeiten des Jazz – Sozialgeschichte und Improvisation unter den Imperativen der Kulturindustrie“ (2014); Intime Kenner, exotische Rebellen und sensible Rivalen – Männlichkeit(en) im Jazz (2015); „Male Hegemony in Jazz – Trying to Understand One Important Element of Jazz’s Gender Relations“ (2016); „Zur wissenschaftlichen Kritik an Adornos Jazztheorie“ (2017; i.E.).